Teppich Figuren im Netz
Zwei Wandteppiche

Wir erinnern an die Quedlinburger Knüpfteppich Fragmente, die zu den größten Kostbarkeiten mittelalterlicher, monumentaler Textilkunst zählen. Sie wurden von der Quedlinburger Äbtissin Agenes von Meißen in Auftrag gegeben und befinden sich heute im Domschatz der Stiftskirche St. Servatius.

Ende des 12. Jahrhunderts begann eine Phase der Rückbesinnung auf die Antike. So wurde auf diesen Teppichen eine Geschichte des klassischen Altertums verbunden mit der mittelalterlichen Weltsicht und Hierarchie. Heute wiederum verbinden die ausgestellten Wandteppiche diese spätromanischen Bildteppiche mit der Gegenwart.

Auch wir besinnen uns zurück, arbeiten alleine und über eine große Zeitspanne und mit Materialien, die heute als typisch weiblich gelten: Stoff, Nadel und Faden. Allerdings geschieht dies in anderer Form und in moderner Sichtweise:

1. Wandteppich von Marie-Luise Schulz

Auf dem Wandbehang von Marie-Luise Schulz: „Freiheit im Netz - Hommage an Edward Snowden“ agieren wie auf den alten Fragmenten menschliche Figuren, jedoch nicht im Sinn des mittelalterlichen Weltbildes. Vielmehr spiegeln sie den heutigen Menschen in seinem Ausgeliefertsein an die von ihm selbst entwickelte Technik. Entsprechend „treiben“ die Figuren im Netz verknüpft, gemeinsam und doch jede für sich, korrekt und angepasst, in dem ihnen zugemessenen Raum und entsprechen damit einem neuzeitlichen Weltbild.

2. Wandteppich von Bernhardine Bahri

Bei dem Wandteppichen von Bernhardine Bahri „Paradiesgarten“ und „o.T.“ stehen im Gegensatz zu den bildlichen Darstellungen des Mittelalters Struktur und Farbigkeit im Vordergrund. Statt Hanf und Wolle als Knüpfmaterial zu benutzen, wurden Stoffreste, Folien aus Aluminium und Kunststoff auf Gewebe aus dem Baugewerbe appliziert. Dieses „Recycling“ ist ebenfalls eine Form der Rückbesinnung, der Aufwertung und der Besinnung. So wie Edelsteine und Sternengrund und die Augen von Kaiser und Bischof schimmerten, leuchten jetzt die unterschiedlich farbigen Folien. Der „Paradiesgarten“ greift alte ornamentale Gestaltungsformen auf.

Leerstellen in den Behängen, die die alte Wand des Hagenschen Freihofs aus dem 16. Jahrundert durchscheinen lassen, zitieren die berühmten Quedlinburger „Fragmente“. So wie die alten Bildteppiche Räume schmückten und wohnlich machten und die Menschen aufforderten, Geschichten im Kopf zu bedenken, sollen auch die hier ausgestellten Arbeiten die Betrachter in ähnlicher Weise anregen.

Bernhardine Bahri
© Marie-Luise Schulz und Bernhardine Bahri